Der Krisenmodus wird zum Alltag, von Routine keine Spur

Seit Mitte März ist auch im Dominikus-Ringeisen-Werk nichts mehr, wie es war

Unvorstellbare 185.000 Einmalmasken hat das Dominikus-Ringeisen-Werk (DRW) in den vergangenen vier Wochen verbraucht. Der Bedarf an Schutzkleidung ist enorm. Über eine Großspende des Chemiekonzerns BASF erhält das DRW 72.000 OP-Masken. Für den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden und kaufmännischen Leiter Michael Winter und Wolfgang Tyrychter, Leiter des Vorstandsressorts „Teilhabe und Assistenz“ gibt es seit Monaten kein anderes Thema als Corona. Auch für Gruppenleiterin Edeltraud Böck, die das Haus Elija in Neuburg an der Kammel hat sich der Alltag komplett verändert. Sie erklären, wie sie mit der Situation umgehen.

Michael Winter ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Dominikus-Ringeisen-Werks
Bild: Markus Landherr/DRW

„Corona dominiert den Alltag“

Seit Dezember 2019 beobachtete man im DRW das Geschehen um Corona. Bereits seit Ende Januar sind Fachgruppen aktiv, seit März auch der Krisenstab. Früher als von der bayerischen Staatsregierung verordnet hat man die bestehende Hygienekonzepte verschärft – bisher mit Erfolg.

Der Krisenmodus ist mittlerweile zum Alltag geworden. Von Routine gibt es jedoch keine Spur: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten Großartiges, um die Begleitung der Klienten sicherzustellen, dafür bin ich sehr dankbar. Aber die Arbeit ist sehr herausfordernd. Die Sorgen von Angehörigen und Bewohnern und die Abstandsregeln machen oft betroffen und führen zu Problemen.“ Immer wieder gebe es neue Verdachtsfälle, die sich zum Glück aktuell nicht bestätigen. Das alles zehre an den Nerven der Beteiligten. Gruppenleiterin Edeltraud Böck kann das nur bestätigen: „Mit einer Maske zu arbeiten ist furchtbar“, sagt sie. Problematisch sei dies vor allem für die Menschen, die sie im Haus Elija in Neuburg an der Kammel begleitet: „Die Bewohnerinnen und Bewohner sind auf die Mimik und den Gesichtsausdruck angewiesen. Manchmal können sie Stimmungslagen dann nicht einordnen.“ Am meisten fehle die sinnvolle Tagesstruktur, die die Werk- und Seniorenstätten des DRW bis zum sogenannten Lockdown geboten haben. Während in den Werkstätten mittlerweile im Schichtbetrieb Arbeit wieder möglich ist, fehlt das Angebot der Seniorenstätte. „Wir merken das vor allem bei unseren älteren Bewohnern. Ihnen fehlen die Sozialkontakte und die Abwechslung im Alltag.“ Mit Ausflügen versucht das Team um Edeltraud Böck die fehlende Struktur zu kompensieren, ganz gelingt das leider nicht. Manfred Hampp und Reinhard Prießner, die im Haus Elija leben, würden lieber heute als morgen die Masken wieder ablegen. „Es nervt“, sind sich beide einig.

Ein großer Spagat

Auch der Arbeitsalltag von Wolfgang Tyrychter, Leiter des Vorstandsressorts „Teilhabe und Assistenz“, wird seit Februar ausschließlich vom Thema Corona dominiert. Nach wie vor empfinde er es als schwierig, zu entscheiden, welche Maßnahmen zu welchem Zeitpunkt richtig sind: Wie können Besuche in den Einrichtungen organisiert werden, wie können Menschen mit Behinderung wieder an ihre Arbeits- und Betreuungsplätze in den Werk- und Förderstätten zurückkehren und wie können die Wege und der Transport zur Arbeit gestaltet werden? Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zollt auch er größten Respekt vor ihrer Leistung. Dennoch ist der Spagat zwischen der persönlichen Freiheit der Klienten und dem Schutz der Einrichtungen mit allen Bewohnern vor einem Ausbruch des Virus sehr schwierig. In den Wohngruppen fallen die Auswirkungen gemischt aus. Die Spanne reicht von einer positiven bis hin zu einer angespannten Stimmung. Viele Bewohner kommen mit den Maßnahmen gut zurecht, nicht zuletzt aufgrund der Kreativität des Personals in den Wohngruppen und den Mitarbeitern der Seelsorge. Es gebe aber auch Bewohner, welche mit den Veränderungen im Alltag überfordert seien, Hygieneregeln zudem nicht einhalten könnten. Edeltraud Böck bekommt oft die Frage gestellt, wie lange das denn alles noch dauere. Eine Antwort darauf hat sich nicht. Sie ist sich jedoch sicher: „Die Isolation über Monate und die strengen Auflagen machen was mit unseren Bewohnern.“

Wolfgang Tyrychter leitet das Vorstandsressort „Teilhabe und Assistenz“
Bild: Markus Landherr/DRW

Bisher kein großer Ausbruch

Michael Winter ist sehr froh, dass es noch kein größeres Infektionsgeschehen in einer DRW-Einrichtung gegeben habe. „Wir sind bisher mit einem blauen Auge durch die Krise gekommen, nur vier positive Fälle, darunter zwei Mitarbeiter, die sich im privaten Umfeld angesteckt haben, gab es insgesamt.“ Man lasse aber bei den Maßnahmen nicht locker. Laufend würden dafür die Hygienekonzepte individuell angepasst, eine große Herausforderung bei den rund 30 Standorten des DRW in Bayern. Daneben sehen sich die Verantwortlichen im DRW mit einer Vielzahl von oft sehr kurzfristig eintreffenden staatlichen Regelungen und Verordnungen konfrontiert, die für die Einrichtungen manchmal in der Kürze der Zeit kaum umsetzbar seien. Man würde sich dazu gerne auch fachlich mit den Gesundheitsämtern austauschen. Diese seien seit Ausbruch von Corona je nach Landkreis oft jedoch kaum oder gar nicht ansprechbar, auch in Bezug auf Anfragen oder Rückmeldungen zu Hygienekonzepten. Auch hier wird immer wieder Überlastung deutlich, das DRW bemühe sich aber weiterhin um eine enge Zusammenarbeit.

Großer Bedarf an Schutzausrüstung

Ein großes Thema ist nach wie vor der Bedarf an Schutzausrüstung. Aufgrund der sommerlichen Temperaturen werden aktuell große Mengen an Masken benötigt. 185.000 waren es allein in den letzten vier Wochen. Dazu kommen über 20.000 Mund-Nasen-Bedeckungen, die von vielen Helferinnen und Helfern großteils ehrenamtlich genäht wurden. Seit Beginn der Krise ist Michael Winter zusammen mit den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kontinuierlich damit beschäftigt, entsprechendes Material zu beschaffen. „Das große Problem ist, dass der Markt teilweise leer gefegt ist. An irgendeinem Artikel fehlt es immer. Zuerst fehlten Masken, nun sind größere Mengen an Einmalhandschuhen praktisch nicht zu bekommen, hier gibt es einen Rohstoffengpass am Weltmarkt“, so Winter. Händeringend suche man Lieferanten und auch Spender. Hinzu kämen nämlich die hohen Kosten dafür. Die Produkte kosteten ein Vielfaches als vor der Krise. Nach wie vor sei nicht geklärt, ob die drei bayerischen Bezirke Schwaben, Unterfranken und Oberbayern als Kostenträger für die Angebote der Eingliederungshilfe des DRW die Finanzierung von Schutzausrüstung übernehmen. „Wir bezahlen das aktuell aus eigener Tasche. Auf Dauer können wir uns das allerdings einfach nicht leisten“, so Winter. Das DRW ist bereits mit einem niedrigen siebenstelligen Betrag in Vorleistung gegangen. Michael Winter hat aber durch erste Signale und Maßnahmen der Solidarität durch den Bezirk Schwaben Hoffnung auf eine Lösung dieses Problems.

Tyrychter hofft auf einen „Lerneffekt“

Er geht wie Wolfgang Tyrychter davon aus, dass die Krise noch lange nicht ausgestanden sein wird. „Wir hoffen, dass wir einen Weg finden, trotz Virus möglichst zum gewohnten Leben zurückkehren zu können“, sagt Michael Winter. Wolfgang Tyrychter hofft, dass es einen Lerneffekt geben wird: „Die Krise zeigt, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialwesen gerade für die Bewältigung einer Pandemie, aber auch sonst ist.“ Er wünscht sich, dass von der Politik wahrgenommen wird, dass sich eine überzogene und einseitige Ökonomisierung des Gesundheitssektors negativ auf die Leistungsfähigkeit von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe auswirkt. Dem entgegenzuwirken, dafür werde das Dominikus-Ringeisen-Werk auch in Zukunft einstehen.

Ab und an gibt es trotz aller Schwierigkeiten kleine Lichtblicke. So wie jetzt: Der Chemiekonzern BASF spendet rund 80 Millionen OP-Masken für die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland. Über den Caritasverband Augsburg erhält das Dominikus-Ringeisen-Werk davon rund 72.000 Stück. „Darüber freuen wir uns sehr und sind sehr dankbar“, sagt Michael Winter. Auch die Hilfe aus der Bevölkerung bei der Nähaktion für Stoffmasken des DRW war überwältigend und auch die Schwestern die St. Josefkongregation hätten dem DRW sehr geholfen. Das alles mache Mut, die Krise weiterhin trotz aller Einschränkungen und Schwierigkeiten meistern zu können. Auch in Neuburg an der Kammel gibt es schöne Momente in der Krise: Durch die zentrale Lage des Hauses direkt am Markplatz kommt es wieder zu Begegnungen und einem Ratsch mit den Neuburger Bürgern – ohne Berührungsängste. „Das ist super“, sagt Edeltraud Böck.

Bildunterschrift: Manfred Hampp und Reinhard Prießner (v. l.) wünschen sich „dass alles wieder normal wird“. Gruppenleiterin Edeltraud Böck und ihr Team versuchen, die fehlende Tagesstruktur aufzufangen.

Bilder: Markus Landherr/DRW

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