Der Chefarzt des Therapiezentrums Burgau, Prof. Bender, leitet ein außergewöhnliches Forschungsprojekt
Ein Forschungsprojekt soll das Erholungspotenzial von Patienten in der außerklinischen Intensivpflege verbessern. Geleitet wird es von Prof. Bender vom Therapiezentrum Burgau. Und gefördert mit 5,3 Millionen Euro. Ist das der Startschuss für eine neue bundesweite Versorgungsform?
Dem Chefarzt des Therapiezentrums Burgau, Prof. Dr. Andreas Bender, ist es gelungen, ein Forschungsprojekt zu akquirieren, das in seiner Ausprägung einzigartig in Deutschland ist. Die gesamte Fördersumme beträgt 5,3 Millionen Euro und wird vom Innovationsfonds der Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Es geht um die Optimierung der nachklinischen Intensivversorgung bei neurologischen Patienten („OptiNIV“). „Wichtig ist: Hierbei handelt es sich um kein Projekt der Grundlagenforschung, sondern um eines, das sehr nahe an der Lebensrealität der Betroffenen dran ist“, sagt der 50-Jährige. Sollte die Studie eine Verbesserung der Behandlung von Patienten in der außerklinischen Intensivpflege (AIP) zeigen, könnte flächendeckend eine neue Versorgungsform etabliert werden. Prof. Bender, der seine wissenschaftliche Tätigkeit in enger Zusammenarbeit mit dem Klinikum der Universität München (LMU) ausübt, leitet das Forschungsprojekt. Partner sind die AOK, die Universität/Universitätsmedizin Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) sowie mehrere neurologische Fachkliniken aus Bayern, darunter das Therapiezentrum Burgau.
Ein Schlaganfall, Herz-Kreislaufstillstand oder Unfall können dazu führen, dass das Gehirn schwer geschädigt wird. Manche Patienten kommen auf die Intensivstation, wo sie an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, das die Atmung maschinell unterstützen soll. Die einen schaffen es, davon wegzukommen, die anderen nicht. „Derzeit sind in Deutschland etwa 20.000 Menschen nach einer intensivmedizinischen Behandlung auf eine maschinelle Beatmung oder einen dauerhaften Zugang zur Luftröhre (Trachealkanüle) angewiesen. Dies beeinträchtigt ihre Lebensqualität erheblich“, stellt Prof. Bender fest. Neurologische Intensivpatienten, die im Rahmen der stationären Frührehabilitationsbehandlung nicht von Beatmung oder Trachealkanüle entwöhnt werden können, werden zunehmend häufig in die außerklinische Intensivpflege entlassen, unter anderem auch in sogenannte „Beatmungs-WGs“. Das verursacht bundesweit Kosten in Höhe von etwa vier Milliarden Euro, wofür die gesetzlichen Krankenkassen aufkommen. „Dabei haben gerade diese Betroffenen Verbesserungspotential, sich langfristig zu erholen. Dieses Potential ist möglicherweise nicht optimal ausgeschöpft, weil koordinierende-rehabilitative Strukturen und Prozesse fehlen“, so der Chefarzt. OptiNIV soll hier Abhilfe schaffen.
Die neue Versorgungsform besteht aus ambulanten Teams, bestehend aus Ärzten und Therapeuten. Die Teams sind an Kliniken der neurologischen Frührehabilitation stationiert, zu denen beispielsweise das Therapiezentrum Burgau zählt. Die Spezialisten kommen zur Visite der AIP-Patienten nach Hause, führen Untersuchungen durch und koordinieren das therapeutische Konzept. Dezentrale Studienzentren an den Rehabilitationskliniken koordinieren die Behandlungsphasen und übernehmen das Fallmanagement. Eine gründliche, interdisziplinäre Untersuchung identifiziert das individuelle Entwöhnungspotenzial der Patienten. Die Entwöhnung von maschineller Beatmung oder
Versorgung mit Trachealkanüle erfolgt während einer neurologischen Intervallrehabilitation in einer der beteiligten Fachkliniken nach ungefähr einem Jahr.
Das Projekt ist auf 3,5 Jahre angelegt, die einzelnen Patienten werden jeweils für zirka ein Jahr behandelt. Etwa 175 neurologische AIP-Patienten nehmen daran teil. Das Projekt soll den Erfolg bei ihrer Entwöhnung von der maschinellen Beatmung oder der Trachealkanüle ermitteln. Dazu wird die Studiengruppe (ca. 115 Patienten mit OptiNIV) mit einer Kontrollgruppe (ca. 60 Patienten mit Regelversorgung) verglichen. Zudem analysieren die Forschenden die Kosten des neuen Behandlungspfades im Vergleich zur Standardbehandlung.
Durch den medizinischen Fortschritt überleben immer mehr Patienten eine schwerste Erkrankung und müssen von speziell geschultem Fachpersonal auf Intensivstationen betreut werden. Dies trifft sowohl für die Akutkliniken, wie auch für die speziellen neurologischen Rehabilitationskliniken und später für außerklinische Intensivpflege zu.
„Der Bedarf ist hoch. Nicht zuletzt deshalb werden wir in diesem Jahr unseren Neubau am Therapiezentrum in Burgau in Betrieb nehmen. Hier werden wir versuchen, durch eine intensive neurologische Rehabilitationsbehandlung möglichst viele Patienten von der Beatmung oder dem Luftröhrenschnitt wegzubringen“, kündigt der Chefarzt an. Wie berichtet, entstehen in dem 21 Millionen Euro teuren Gebäude an der Kapuzinerstraße zwölf Intensiv- und 16 Intermediate-Care-Betten; letztere sind Betten für nicht mehr beatmete Patienten. „Dennoch wird es nicht bei jedem Patienten während der Rehabilitationsbehandlung gelingen, sie erfolgreich von der Beatmung oder einer Trachealkanüle zu entwöhnen, so dass sie in die AIP entlassen werden müssen. Genau hier setzt dann das neue Forschungsprojekt an, damit die Entwöhnung dann doch noch mit etwas Verzögerung im ambulanten Bereich erfolgen kann.“
Wenn das Forschungsprojekt zeigt, dass sich der „Burgauer Gedanke“ erfolgreich weiterspinnen lässt, könnte die neue Versorgungsform unter Beteiligung der bestehenden Strukturen der Neurorehabilitation auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Das würde, so Projektleiter Bender, zu einer Verbesserung von Lebensqualität der Betroffenen führen und wohl Kosten in dreistelliger Millionenhöhe jährlich einsparen.
Bildunterschrift: Prof. Dr. Andreas Bender, Chefarzt des Therapiezentrums Burgau.
Bild: Gabi Haid